Paaa-elll-jaaaa!

Bin ich ein Idiot. Da lebst du 59 Jahre dein Leben und hast sie nie richtig kennengelernt. Vielleicht zwei dreimal mit ihr geflirtet. Aber nie so richtig an ihr herumgemacht. Dabei wäre sie geil. Aber du musst bereit sein für sie. “Uhuere parat”, wie die Berner sagen. Und vor allem: Du musst sie wollen. Denn sie fordert dich. Gibt dir dafür alles, wenn du dich mal auf sie eingelassen hast.

 

Zu den Flirts. Bei Harri, einem österreichischen Kollegen, merkte ich vor Jahrzehnten erstmals, was es heisst, ihr mit aller Leidenschaft zu verfallen. Harri schwitzte, ja glänzte vor Begeisterung. Richtig “narrisch” war er durch sie geworden. Er schilderte seine Liaison in allen Details und war sichtlich stolz auf das, was er mit ihr alles gemacht hatte. Wenn man ihm glauben durfte, war die Küche so versaut vom Liebesspiel, dass er wahrscheinlich bald eine neue brauchte. Und sie war zugegebenermassen göttlich (nicht die Küche). Doch irgendwie hatte ich sie wieder verdrängt. Sie blieb Episode. Weil ich zu Reis ein eher zwiespältiges Verhältnis habe. Der Milchreis war für mich als Kind eine Tortur. Trockenreis nur in einem Verhältnis von Zwei zu Eins (zwei Teile Fleisch und Sauce, ein Teil Reis) zu ertragen. Und Risotto? Na ja. Mit Ossobuco, oder vielmehr -buci, ein gangbarer Weg. Mehr aber auch nicht.

 

Der Spanier, der uns beim alljährlichen Ausländerfest in Solothurn eine vorsetzt, versucht mit möglichst viel Reis möglichst viel Profit aus ihr herauszukitzeln. Jedenfalls weckt er die Erinnerung an Harri nicht. Dann gibt es noch den Kollegen – nennen wir ihn “den Schreiner”. Er macht sie ganz passabel, aber manchmal ist er zu experimentierfreudig. Einmal knallte er die ganzen Sinnesfreunden mit Hekatomben von Zitronenschnitzen zu. Ich hasse sie. Auf Schnitzel, zu jedem Fischli, immer diese Scheisszitronenschnitze. Und ich schwor: Nie kommt einer auf meine Paella!

 

Paella auf dem Grill

Bild: Die erste Paella

 

Das wars dann. Ich beschloss, mich auf das Liebesspiel mit ihr einzulassen. Und ehrlich: Sie hat mir viel gegeben. Auch neue Freunde. Aber immer schön der Reihe nach. Denn zuerst musste ich sie einkreisen. Wer sich an seine neue Liebe heranmacht, muss sie ergründen, verstehen lernen. Und wissen, was sie braucht. Eine Pfanne. Kein Problem und im Fachhandel zu haben. 45 cm Durchmesser sollten sich als ideal erweisen, um bis zu acht hungrige Mäuler satt zu kriegen. Dann das Rezept. Mehr als das: Der ganze Ablauf, die Prozedur. Die meisten Rezepte zeigen dir den sicheren Weg in den Untergang. Das Resultat ist ein gelber Risotto mit einigen Erbsen und in der Pfanne gebratenen Hühnerbeinen. Wagemutige knallen noch ein Würstchen drauf oder sogar zwei, drei Muscheln. Aber die erstbeste, das durfte es nicht sein. Ich wollte sie ganz, mit Haut und Haaren. Wild, archaisch, mit all ihren Düften und Aromen. Sie musste einzigartig sein.

 

Es ist nicht ganz fair. Ich habe Harri nie gefragt, wie er es macht. Ihm hätte ich es zugetraut, mir den Weg zu zeigen. Nun, ich habe es auch ohne ihn geschafft. Die wohl ältesten Bücher in meiner Koch-Bibliothek beschreiben eine Küche in Italien, Frankreich oder eben auch Spanien, die heute schon weitgehend vergessen ist. Farbfotos in abscheulicher Qualität zeigen französische Hausfrauen, die vor bald 60 Jahren noch lebende Kaninchen an den Ohren vom Markt nach Hause tragen. Heute das Todesurteil für den Marktfahrer und die Hausfrau. Darum gibt es sie alle auch schon lange nicht mehr – die schlachtfrischen Kaninchen, geschmort im Eintopf. Aber ich bin abgeschweift. Im Spanien-Buch fand ich genau das, was ich suchte. Die akribische Beschreibung, wie eine spanische Familie im Freien ihre Paella zubereitet. Diese sieht zwar im Buch aus wie Kotze, aber dafür konnte die Familie nichts. Agfa und Kodak hatten damals einfach kein besseres Filmmaterial. Aber das Rezept überzeugte, auch wenn ich wahrscheinlich nie die Fertigkeit des längst verblichenen Kochs erreichen würde, der wie ein Sämann nach und nach eine Handvoll Reiskörner in seinen Soffriddo streute.

 

Soffriddo? Genau das ist der Punkt. Von dem lese ich in allen anderen Rezepten nichts. Wir kommen noch auf ihn zurück. Das zweite Kriterium: Die Typen damals produzierten ihren Festschmaus einfach draussen in der Pampas. Über einem Holzfeuerchen. Mein Grill ist zwar etwas moderner, aber immer noch ein altmodisches Ding. Mit einem allerdings nicht zu verachtenden Vorteil: Über eine Kurbel lässt sich der Rost beliebig hochziehen und fixieren. Vor allem aber: Der Rost ist genau 45 cm breit. Natürlich tuts jeder Grill. Doch eine Regulierung der Hitzezufuhr ist halt schon ein grosses Plus. Und noch eines ist wichtig: Wer sich auf Holzkohle einlässt, sollte nur eine Top-Qualität nehmen. Vergiss die Tankstelle nebenan. Denn Du brauchst genug Hitze für zwei Stunden Zubereitungszeit. So gesehen lässt dich Gas nie im Stich. Aber es ist nicht so romantisch. Auf die zwei Stunden Liebesspiel kommen wir noch.

 

Nüchtern betrachtet ist die Paella eine einzige logistische Herausforderung. Und schon gar nicht geeignet für einen romantischen Abend zu zweit. Lade deine besten Freunde ein! Freundinnen können es auch sein, aber von denen gibt es nicht so Viele. Denn deine Gäste sollen (fr)essen. Alles. Ohne Rücksicht auf Verluste und Pfunde. Sie sollen alles mögen. Meerfrucht-Allergie? Ausgeschieden. Muscheln-Unverträglichkeit? Geht gerade noch. Die Muscheln kannst du auch noch arrangieren, wenn sie ihre Portion geschöpft hat. Vor allem aber: Lade die Gäste rechtzeitig ein. Damit sie die Paella-Werdung miterleben. Saftend, verschmachtend vor Gier soll ihnen der Speichel zusammenlaufen, angesichts dessen, was sich in dem 45 cm grossen Blechrund abspielt. Wir kommen gleich darauf.

 

Logistik-Lektion Nummer zwei: das Beschaffungswesen. Inzwischen habe ich sogar den anspruchsvollen Doppelweg beschritten: Zwei Paellas gleichzeitig. Eine Paella del Mar nur mit Fisch, Tintenfisch, Muscheln und Krustentieren. Daneben eine reine Fleisch-Paella mit Huhn und Würsten. Auch nicht schlecht. Aber bleiben wir jetzt bei meiner Haus-Paella für sieben, acht Personen. In der gemischten Variante. Das Ganze fängt bei mir eben schon einige Tage vorher an: Zwei zerteilte Hühner in einen grossen Topf, Gemüse und Kräuter stundenlang ziehen lassen, bis ein kräftiger goldgelber Hühnerfond da ist. Den salze ich auch gleich schön, damit ich mich auf dem Höhepunkt des Liebesspiels nicht noch allzu intensiv aufs Salzstreuen einlassen muss. Drei, vier Liter Fonds sind ideal. Dazu noch ein, zwei Liter Fonds aus Tintenfisch, Muscheln und kurz mitgekochten Krustentieren. Ich bevorzuge Gambas mit Kopf. Sie sind zwar nicht so fleischig wie Crevetten-Schwänze, aber geben mehr Aromastoffe und fettige Finger ab. Man nennt das auch Erlebnis-Gastronomie. Tintenfisch ist exzellent und gehört dazu. Pulpo sollte allerdings ein Stündchen vorgekocht werden. Und die kleinen, aber ganzen Calameretti mit ihren herzigen Fangärmchen sind nicht nach jedermanns Geschmack. Lieber weglassen, wenn eine zart besaitete Dame unter der Gästeschar ist. Dazu brauchen wir Chorizo, dolce (süss) schmeckt besser als picante (scharf), Poulet-Oberschenkel, allenfalls Kaninchenteile vom Rücken und Schenkel, dann den wirklich teuersten Risottoreis, gefrorene Erbsen und das Viagra für jede Paella: Safran. Pulver, bitte.

 

Getrennte Paella

Bild: Die getrennte Variante

 

Das Anbraten. Wenn Tintenfisch und Muscheln gekocht sind, alles was angebraten sein will, griffbereit halten. Also Tintenfisch (Kalmare ergeben die schönen Ringe), Huhn, Kaninchen, Wurst in schräg geschnittenen, zehn Zentimeter langen Stücken und die Gambas. Eine Sauerei sondergleichen in der Küche, auf dem Herd neben der Eisenpfanne. Auch das gewählte hoch erhitzbare Olivenöl spritzt in die letzte Ritze. Im zweiten Anlauf habe ich eine Kartonschachtel so ausgeschnitten, dass darunter die Pfanne Platz hatte. Und das Wenden der Zutaten noch möglich war. Trotzdem, eine unappetitliche Geschichte.

 

Und so entschied ich mich für die Paella totale. Draussen, in einem Guss durchgezogen. Die Paella-Pfanne auf den optimal angeglühten Grill, und dann Anbraten. Die Reihenfolge ist nicht so wichtig. Hauptsache, alles im reichlich sprudelnden Olivenöl. Dabei bitte die Hühnerschenkel genug lang garen – ein bluttriefendes Pouletschenkeli macht aus einer Paella-Party ein Gruselstück. Dann das Bratöl wegleeren und durch frisches ersetzen. Aber ja nicht die Pfanne putzen. Denn das Bratgut hat nun alle Aromen abgegeben für das Finale furioso. Und dazu kommt jetzt unser Freund: der Soffriddo.

 

Etwa 200 Gramm geschnetzeltes Schweinefleisch gewürzt ins neue, heisse Öl geben. Dazu die vorher klein geschnittene Zwiebel und Knoblauchzehen, ein, zwei Tomaten, mindestens zwei Farben Peperoni, auch sie klein gehackt. Das Ganze schön breiig einkochen lassen – und damit haben wir den Soffriddo, den Geschmackbeschleuniger für unsere Paella.

 

Paella auf dem Tisch

Bild: Das Finale!

 

Was jetzt folgt ist Nervensache. Du musst daran glauben, dass die lumpigen 700 Gramm Reiskörner, die nun in den Soffrido eingerührt werden, später genug Masse für acht Gäste ergeben. Du musst auch glauben, dass der eingerührte Reis nicht mit dem Soffriddo anbrennt, weil du ihn nicht gleich mit der Hühnerbouillon und dem Fischsud ablöschst. Und wenn er in der Mitte der Pfanne ein bisschen anklebt, der Reis – macht nichts. Bei den Spaniern gehört das sogar dazu. Drittens musst du glauben, dass du die bis zu fünf Liter Flüssigkeit ohne weiteres gestaffelt über den angebratenen Reis giessen darfst und du  zuletzt keine Suppe, sondern eine wunderbare Paella vor dir hast. Und viertens musst du glauben, dass es einen Punkt gibt, wo du nur noch dastehst, und wartest bis sie kommt: Deine Geliebte, deine Paella. Denn wenn der erste Liter Fonds die noch winzigen Reiskörner bedeckt, drapierst du alle angebratenen Schönmacher in die blubbernde, mit dem Safranpulver gelb gewordene Pfanne hinein. Nichts mehr wird bewegt und gerührt! Die Erbsen darauf verteilt ist sie nun attraktiv geworden, angeschwollen und würzig der Reis unter den roten Gambas, goldbraunen Hühnerbeinen, den grünen und  gelben Paprikaschnipseln. Sie ist eine Pracht, deine Paella. Und nun werden alle erlöst, die ihrem Werdegang zusehen mussten, gierig geworden und nicht mehr zu halten sind: Vamos a la mesa!