Die Maske des Entzückens

Grosses Staunen meinerseits! Der normalerweise etwas ruppige Fleischfachmann im Foodladen meines Vertrauens hat doch tatsächlich Kalbskopf im Kühlraum. Er habe eine halbe Maske für einen Kunden bestellen müssen und diese sei nicht abgeholt worden! Her damit! Auch wenn etwas gar gut bemessen für zwei Personen! Da meine Liebste solchen Genüssen abhold ist, bleibt  ihr Vater  als Versuchskaninchen für meine nostalgischen Kochexperimente übrig. Der lässt sich allerdings noch so gerne überreden!

 

Nun ist auch ein halber Kalbskopf eine ganze Menge Fleisch! Also: wie zubereiten?

 

KalbskopfmaskeBild: Maske vom Kalbskopf (mit freundlicher Genehmigung Copyright Samuel Herzog)

 

Ich entscheide mich für das Garen im Fond. Daraus können anschliessend mehrere Varianten zubereitet werden.

 

Kalbskopf in heissem, leicht gesalzenem Wasser kurz blanchieren, unter kaltem Wasser gut abspülen, von unschönen Stellen befreien und in mundgerechte Stücke von ca. 5 cm Kantenlänge schneiden. Mit Wurzelgemüse und dem Hellen vom Lauch, einer mit Nelken gespickten Zwiebel,  Lorbeer und weiteren Kräutern nach Belieben wie Rosmarin, Thymian, Estragon, einem Teeei mit Piment, Senfkörnern, gemischten Pfefferkörner, sowie etwas Bio-Zitronenschale kalt aufsetzen. Zwischendurch abschäumen und währen 1 ½ bis 2 Stunden sanft gar, aber nicht zu weich köcheln. Das Ganze habe ich nun im Sud erkalten lassen, nicht ohne zuvor einige schöne Wurzelgemüsestücke entnommen zu haben.  Das Aroma und die Konsistenz dieser Maske ist bereits jetzt zum Niederknien und der Topf erlebt seine erste Dezimierung durch mein ausgiebiges Schleinen.  So heisst Naschen im Urner Dialekt. Die halbe Maske reicht ja weit! Hannibal Lecter hätte seine helle Freude.

 

Als ersten Gang gibt’s einen kleinen marktfrischen Blattsalat mit gebackenen Kalbskopfstücken. Dazu werden die Fleischstücke vom gelierten Sud befreit,  mit Salz, Pfeffer, und etwas Muskatnuss gewürztem Mehl bestäubt, in mit der Gabel  geschlagenem  Ei mit einem Spritzer Rahm getaucht und im hausgemachten miel de pain, das zum grössten Teil aus den Resten meiner  Sonntagszöpfe besteht,  paniert.  Das Ausbacken geht natürlich am bequemsten in einer Friteuse, sollte aber auch in der Bratpfanne unbedingt schwimmend erfolgen; beispielsweise in einer Mischung aus Oliven- oder Rapsöl und Butter.  Serviert wird der Salat mit einer leichten à la minute Sauce und einem Schnitz Zitrone.  Dieser Einstig schmeckt nach mehr.

 

Weiter geht’s mit der guten alten Mock Turtle Soup. Die Seeleute hätten ja früher lebende Schildkröten als Frischfleischlieferanten während wochen- und monatelangen Fahrten auf ihren Pötten mitgeführt und diese dann bei Bedarf stundenlang gekocht. Die gallertartige Substanz wurde den Überlieferungen zufolge in der Kochbrühe aufgetischt, zusammen mit dem Wurzelgemüse, das bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfault war.  Wir dagegen geniessen diese falsche Schildkrötensuppe ohne das schlechte Gewissen, die Welt um eine grüne Meeresschildkröte dezimiert zu haben. Unser mitgekochtes Wurzelgemüse ist bunt und frisch vom Solothurner Märit. Alle Farben Rüebli, ausser  dem ‚Deep Purple‘, da dieses wie Randen sehr stark färbt, je eine Pastinake und Petersilienwurzel, etwas Knollensellerie, frischer Estragon und ein halbes, nicht ganz hart gekochtes Ei erfreuen Auge, Nase und Gaumen. Dazu gibt’s noch eine klassische Vinaigrette, um zwischendurch mit dezenter Säure den Gaumen zu erfrischen.

 

Lange habe ich mit mir selbst debattiert, welches die dritte Variante seine soll. Die Idee des Rotschmorens, wie in Shanghai neben allem Erdenklichen und Undenkbaren auch Schweins- und Kalbsköpfe zubereitet werden, fällt aufgrund meiner am Vortag erfolgten Grundzubereitung im Fond  aus. Diese stundenlange Schmorerei mit Zimt, Szechuanpfeffer, Sternanis, Kardamom, gemischten schwarzen Pfeffersorten, einer Paste aus fermentierten schwarzen Bohnen und Palm- oder Rohzucker, sowie frischem Ingwer, Knoblauch, Reiswein und Sojasauce heb ich mir fürs nächste Mal auf.

 

Auch eine Variante mit einer Sauce aus karamellisierten  Cherrytomaten und Kapern verwerfe ich.

 

Ich will ja das feine Aroma des Kalbskopfs möglichst unverfälscht zur Geltung bringen. Da das Ganze ja ein Lunch ist und ich einen gepflegten Weissen der Solothurner Stadtkellerei dazu serviere, entschliesse ich mich für die klassische Art mit  einer weissen Sauce. Dazu habe ich die Schalotten in Butter farblos angeschwitzt, nicht zu knapp mit Mehl bestäubt, mit Milch abgelöscht und mit dem Kalbskopffond aufgefüllt. Bis zur gewünschten Konsistenz mit einem frischen Lorbeerblatt einköcheln lassen. Falls nötig, kann man noch mit einer Mischung aus Eigelb und Rahm legieren. Dazu gibt’s tournierte Salzkartoffeln, die in nicht zu wenig Nussbutter und Schnittlauchröllchen geschwenkt werden. Zugegeben: nicht unbedingt Weight-Watcher-tauglich aber fein!

 

Da der Service wie früher auf Platten und in Schüsseln erfolgt, bleibt es nicht nur bei einem Nachschlag. Wir verzichten daher aufs Dessert und gehen direkt zu Espresso und Digestifs über.

 

Als ich meinen Gast einige Tage später wiedersehe, schwärmt er immer noch von unserem nostalgischen Mittagessen. Allerdings habe ihm der Spaziergang nach Hause sehr gut getan!

 

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