Die Frühlingskönigin

MIT REZEPT FÜR MORCHELSCHNITTEN 

 

Kulinarisch ist der Frühling ja ein Hammer: Osterlamm, Gitzi, Bärlauch, Spargel in jeder Variation, Frühlingssalate wie der Löwenzahn. Die Königin der Genüsse aber, sie schlägt alles: die Morchel. Damit wir uns richtig verstehen: Morcheln gibt’s für mich nur, wenn selbst gefunden. Alles andere kann man vergessen. Gedörrte Morcheln aus dem asiatischen Raum werden rauchgetrocknet und ähneln gekocht einem Ragout aus Zigarettenkippen. Schon mal probiert? Lieber nicht. Und einmal, einmal habe ich den Fehler gemacht: Ich kaufte irgendwelche türkische oder bulgarische Morcheln auf dem Markt beim Pilzhändler des Vertrauens, der dieses prompt verlor. Der Grund: Ich hatte meinen Gästen frische Morcheln versprochen. Und keine gefunden. Das gibt’s. Doch darum Morcheln kaufen? Never, never, never. Nach dreimaligem Wässern der Dinger gab ich auf. Denn in der Pfanne juckten weisse Maden immer noch massenhaft auf. Dabei hatte ich vorher doch so viele schon schwimmend weggeschüttet. Aber eben: Made in Turkey bringts nicht. Und darum esse ich auch in Restaurants keine Morchelgerichte. Das Leeressen von Aschenbechern überlasse ich andern. Und Morcheln sind viel zu teuer, um die Maden fort zu schmeissen. Sie wissen, was ich meine!?

 

Die Morchel-Mafia

 

Also, Messer und Leinensäcklein eingepackt und ab auf die Morchelpirsch. Nicht zur Ausrüstung gehört der Morchelstecken. Den würde ich am liebsten jenen «Sammlern» überziehen, die damit um jede Esche einen Graben ziehen. Und so die Morchelbestände nachhaltig dezimieren. Wir haben noch einen Platz, der regelmässig seit 30 Jahren gute Erträge liefert, alle anderen Super-Gebiete sind leider keine mehr. Zuviel begangen, von Amateuren. Oder dem behördlichen Renaturierungswahn zum Opfer gefallen. Der Emme entlang beispielsweise. Doch noch finden wir die runzligen, geäderten Königinnen des Frühlings. Auch wenn ihre wichtigste Lebensgefährtin, die Esche, derzeit in Massen der Kettensäge zum Opfer fällt. Das Eschentriebsterben könnte noch unabsehbare Folgen für unseren Frühlings-Speiseplan haben. Aber noch gibt es sie: die frühe schwarze Spitzmorchel, die schon im März auf dem gemeinerweise noch winterlich schwarzbraunen Untergrund wächst, die graue Rundmorchel und zuletzt die bis faustgrosse, gelblich gefärbte, majestätische Maimorchel, die allerdings bei fast sommerlichen Temperaturen rasch von Maden befallen wird. Früher fanden wir noch in Massen die Käppchenmorcheln, manchmal über hundert Stück auf engstem Raum. Tempi passati.

 

Quak, Quak!

 

Ja das Finden. Die Maimorchel sieht auch der Amateure noch am ehesten. Ein auffälliges Ding. Allerdings ist die Vegetation dann schon sehr hoch geschossen und Kraut aller Art entzieht sie dem spähenden Blick. Schwieriger wird es bei den graugünen kleineren Exemplaren, oder den noch kleineren runden Schwarzen. Das Finden der Dinger ist krass schwierig und verlangt Training. Darum lassen wir den ersten Fund auch immer stehen, und beäugen ihn von allen Seiten. Erst dann wird er geerntet. Die Struktur muss sich im Hirn einbrennen. Das führt dazu, dass nach einer Morchelexpedition abends beim Schliessen der Augen immer wieder gelb, schwarze und graue Rippen auftauchen. Die Morchel hat sich verinnerlicht. Anfänglich ist Morchelsuchen Frust pur. Meine Frau wies mich vor Jahrzehnten jeweils an, bis zu einem bestimmten Baum zu gehen, und den Boden über die vielleicht zehn, zwanzig Meter genau zu inspizieren. Dort angekommen – nichts. Also zurück zu ihr – wieder nichts. Meine Frau geht die gleiche Strecke ab – mehrere Morcheln. So geht das. Übrigens: Um nicht einander zurufen zu müssen, wer was gefunden hat – der Feind hört mit – haben wir einen Geheimcode: Ein kurzes giftiges «Quak!». Naturecht natürlich. Heute gibt’s ja auch noch das Handy. Da tuts dann das Versenden eines grünen Froschs. Ist aber nicht dasselbe. Quak!

 

Morcheln

Bild: Varietäten der Morchel

 

Noch zwei wichtige Regeln: Nach dem 1. Mai gibt’s im Flachland kaum mehr Morcheln. Der Begriff Maimorcheln gehört also auch zur Irreführung des Feindes, der hinter jedem Busch auftauchen kann. Zweitens: Verrate nie, wo Du hingehst und decke alle Spuren wie Schnittstellen der Morchelstiele säuberlich zu. Unser bester Platz liegt übrigens exakt irgendwo – zwischen dem Nord- und dem Südpol…

 

Ausgeleckte Teller

 

Ich langweile. Was tun, mit den gefundenen Dingern? Jetzt ist Putzarbeit gefragt. Denn Morcheln sind die perfekten Staubfänger. Zwischen den Rippen ihrer Hüte wächst der Sand und die Erde mit. Also spülen, spülen! Und jede Morchel wird zwingend halbiert. Wenns geht, nicht darin hausende Schnecke gleich mit. Maden und rasch davon krabbelnde «Ohregrüble» gehören ebenfalls zu den beliebten «Morchel-Mietern». Keine Panik: Madige Exemplare sauber ausrüsten, anderes Ungeziefer mit dem Verschnitt der Stielenden möglichst auf den Kompost entsorgen. Und spülen, spülen – möglichst tief unter dem kräftigen, kalten Wasserstrahl.

 

Jetzt erst geht’s ab in die Pfanne. Am einfachsten ist die Zubereitung eines leckeren Morchel-Schnittelis. Toastbrot-Scheiben in Butter sanft anziehen lassen, die aufgeschnittenen Morcheln dünsten bis die Flüssigkeit weg ist. Mit etwas herbem Weisswein ablöschen, Rahm zugiessen und erst dann mit Salz und Pfeffer abschmecken. Aufs Toastbrot mit den Morcheln und etwas frische, gehackte Petersilie darauf geben. Ein Gericht zum Durchdrehen. Und das einzige, bei dem Ungeheuerliches erlaubt ist: den Teller auslecken. Davon liess sich schon mancher Gast überzeugen – denn schliesslich hat sich auch unser «GroselI» Zeit ihres Lebens daran gehalten…

 

Zubereitung Morcheln 1

 

Zubereitung Morcheln 1

 

Teller Morcheln

Bild: Morchel-Schnitteli – von der Pfanne zum Teller

 

Wer wenig Morcheln hat, kann sie sehr gut zum «Strecken» mit Milken kombinieren. Fein sind auch gefüllte Morcheln. Dafür eigenen sich grössere, dunkle Spitzmorchelhälften – ich würde nie ganze Hüte füllen, weil – es könnte noch ein «Untermieter» drinstecken.

 

Rezept

 

Pro Person mindestens eine Morchel in zwei Hälften geteilt

 

– Butter
– Salz Pfeffer
– Petersilie
– Rahm
– Etwas Weisswein
– Etwas Kalbs- oder Kaninchenfleisch oder gleich Brät
– Eine Prise Pulver von (selbst!) getrockneten Morcheln

 

Das Fleisch wie für Tartare fein hacken, Petersilie und die abgeschnittenen Morchelstiele ebenso. Beides in den Cutter geben, dazu den Rahm, Salz, Pfeffer, einen Esslöffel Rahm oder Crème fraiche und das Morchelpuder. Oder Brät statt des gehackten Fleischs. Alles pürieren, und die Masse sorgfältig in die Morchelhälften streichen. Es darf ruhig einen kleinen Buckel geben. Die gefüllten Morchelhälften in eine feuerfeste Form legen und mit ein bisschen Weisswein beträufeln. Bei 180 Grad 10 bis 15 Minuten im Ofen garen und mit etwas Deko-Petersilie anrichten. E Guete!

 

Natürlich lassen sich Morcheln im Ofen oder auf dem Dörrex exzellent trocknen und werden zu lauter kleinen Geschmacksbomben. Sie können im Käsefondue verwendet werden, aber auch für ein richtig gutes Kalbssteak mit Morchelsauce ohne Zigaretten-Aroma. Gedörrte Stiele (aber auch Hüte) können zu Pulver gemörsert werden. Wichtig für mich: Einige gedörrte, eigene Morcheln müssen am Heiligabend immer im Haus sein! Für meine extraordinäre Truthahnfüllung. So kommt die Frühlingskönigin noch mitten im kalten Winter zu Ehren. Aber davon ein andermal.