Das Fest der Reste

Ja, es ist eines mehr im Zirkus der Food-Akrobaten und Strassenkünstler; das Streetfood Festival in Solothurn. Diesen Sommer habe ich einen Facebook-Post gelesen, der es auf den Punkt bringt: „Ig gloub wenn ig itz äs Rooftop Foodtruck Festival ufemne Gummiboot würd organisiere, wär ig ziemlich hip.“ Konzepte die erfolgreich sind, werden kopiert und vervielfacht. Manchmal mehr schlecht als recht, manchmal aber ausgezeichnet. Dazu kommen wir später. Von vielen Streetfood Festivals in der Schweiz hörte man Schlechtes: Zu überlaufen, zu wenig Sitzgelegenheiten, zu lange Wartezeiten, schlechter Food-Mix, zu grosse Portionen usw.

 

Streetfood

Bild: Eingansportal

 

Also mal zum klarstellen, kein Veranstalter kann etwas dafür, wenn sein Anlass „überlaufen“ wird und damit auch die Wartezeiten an den Ständen länger werden. Das hat mit Erfolg zu tun. Wenn eine, meist ältere Generation, welche in ihren Mustern festgefahren ist, Punkt sieben ihr Abendessen geniessen will und das am besten noch am Festbank mit Housi und Franz; dann kollabiert das System. Es wird gemotzt, dass es keine Bratwurst gibt? Ihr habt es nicht verstanden, also bleibt bitte Zuhause! Wir sind Foodies und Gastrohedonisten! Wir sind jung und wir haben die Freuden der Gastro-Pornografie und dem Zelebrieren von Fressorgien gerade erst wieder entdeckt. Lasst uns Feiern! Ihr seid herzlich willkommen, aber feiert gefälligst mit! Steht an, wenn ihr anstehen müsst, oder kommt früher. So ein Festival geht meist den ganzen Tag über – im Fall! Und noch ein Anfänger-Tipp: Kommt mindestens zu Viert (alles gute und aufgeschlossene Esser), denn so gibt es keine zu grossen Portionen mehr. Ausserdem können so vier Leute an vier Ständen gleichzeitig anstehen. Das funktioniert – im Fall!

 

Well Shit

Bild: Überlaufen

 

Aber, und das muss gesagt werden, man darf auch kritisch sein mit dem Veranstalter. Nicht unbedingt in Solothurn. Aber dazu kommen wir später. Es ist wichtig, dass ein Veranstalter eines Streetfood Festivals seine Rolle in der Qualitätssicherung wahrnimmt. Es gibt dank dem riesigen Boom in der Branche mittlerweile ein regelrechtes Überangebot an Food-Ständen. Viele davon sind Scheisse und/oder überall anzutreffen. An Musikfestivals und Dorf- und Stadtfesten und, und, und. Es liegt in der Verantwortung der Veranstalter diese Trennung von Spreu und Weizen vorzunehmen. Zweiter Punkt ist, dass der Veranstalter ein Probierangebot vorschreibt. Es müssen genügend Sitzplätze oder Stehtische vorhanden sein, das Gelände sollte angemessen beschallt sein und es sollten genügend saubere Sanitäranlagen zur Verfügung stehen. So wie in Solothurn!

 

Streetfood Festival Solothurn  29.08.2015 11:00 Uhr – Gute Aussichten

 

Alles läuft nach Plan; bis jetzt. Das Wetter ist heiss und trocken, sogar sehr heiss. Es hat eine Bühne, Tische, WC-Anlagen und eine wunderbare Auswahl an Food aus aller Welt. Ein wunderbar organisiertes Streetfood Festival. Durch einen Kaffee und afrikanische Trommeln geweckt feuern Christian Härtge, Chefkoch vom Restaurant Salzhaus in Solothurn, und ich unsere Big Green Egg’s ein und bereiten unseren Stand auf etwas vor, was wir nicht erahnen sollten. Gegen Mittag servieren wir die ersten Portionen unseres Fusion BBQ-Briskets (Sous-Vide gegarte, auf dem Big Green Egg im Rauch angeröstete Rinderbrust auf hausgemachtem Brot mit Schalotten und Creme-Fraîche mit geräucherter Paprika). Die Prozesse in unserer improvisierten Küche stabilisieren sich und wir bekommen langsam eine gesunde Routine. Wir werden sie brauchen.

 

Streetfood Stand

Bild: Stand vom Salzhaus und Grilllade

 

Streetfood Festival Solothurn  29.08.2015 17:00 Uhr – die Ruhe vor dem Sturm

 

Oder auch der Anfang vom Ende. Nun, ich kenne Stress, Christian vom Salzhaus erst recht und auch Jan, mein Grillkursleiter ist als gelernter Koch ziemlich geeicht in dieser Angelegenheit. Doch gegen halb Sieben (als uns langsam das Brot ausgeht und Christian Nachschub besorgen muss), komme ich an meine Grenzen. Eine Schlange über die ganze Breite des Festivalgeländes versucht uns leer zu fressen. Sie ist hungrig diese Schlange; verdammt hungrig! Christine, meine Mutter, am Brotposten, Jan am Pass und ich als Koordination und Laufbursche im Hintergrund. Sauce, Fleisch, Schalotten, Sauce, Sauce, Saaaaaauce, Fleisch, grosse Teller, Sauce, Sprossen, wo bleibt das Fleisch – mein Gott Christian, du Küchengott, komm zurück! Ich bin am Schwimmen, das gebe ich zu. In Bratensaft, heissem Wasser, Sauce und Dampf. Und es war geil! So beschreibt es Anthony Bourdain in seinem ersten Buch „Geständnisse eines Küchenchefs“. Die Hölle einer Küche eines gut besuchten Restaurants. Nun da werde ich hoffentlich noch das eine oder andere Abenteuer erleben. Wir werden sehen. Etwas ruhiger wird es, als Christian zu uns zurückkehrt. Ruhiger jedoch auch im Kühlschrank; dort wo vor ein paar Stunden noch achtzig Kilogramm Rinderbrust lagerten, finden sich noch knapp drei Pack des braunen Goldes. Christian wird von mir ständig über unsere Vorratslage unterrichtet und so kommt es, dass bald der Hausmetzger im Stand steht und brav die nächtliche Bestellung aufnimmt. Uns ist mit aller Gewalt bewusst geworden, dass wir uns verkalkuliert hatten. Und zwar um einen ganzen Tag. Wir sollten nicht die einzigen sein.

 

Die hungrige Schlange

Bild: Die hungrige Schlange

 

Streetfood Festival Solothurn  29.08.2015 22:00 Uhr – Regeneration

 

Es gleicht einem Schlachtfeld – die Augen der Standbetreiber – leer wie ihre Kühlschränke und glasig. Sie wissen nicht ob sie heulen oder lachen sollen. Woher bekommt man an einem Samstagabend um diese Zeit noch Vorräte. Einige fahren in der Nacht durch die halbe Schweiz, andere werden von gütigen Seelen beliefert. Ich habe an diesem Abend Stimmen gehört die sagten, sie hätten in drei Tagen Streetfood Festival Luzern nicht so viel verkauft wie heute. In Solothurn!

 

Christian Härtge

Bild: Christian Härtge

 

Jetzt kann man sich fragen woran das wohl gelegen hat. War es die Organisation? Das Angebot? Oder doch die Solothurner? Alle waren es! Und sie waren toll, nein Sie waren die Besten! Ich will dieses Fest wieder feiern – in Solothurn – und zwar für die nächsten hundert Jahre! Es war eine Orgie des guten Geschmacks! Es war schlichtweg grandios! Ich applaudiere vor all den Leuten, die wieder gerne essen und Essen als Kunstform, Droge und Erfüllung sehen. Essen in seiner natürlichen Form, zubereitet mit Liebe und Verstand! Rohstoffe aus regionaler und nachhaltiger Produktion. An all dem hat es gelegen, dass das Festival überlaufen wurde. Man hat auch gelernt; alle von uns. Die Organisatoren, die Standbetreiber und auch die Gäste. Wir als Standbetreiber wissen nun: Unterschätze nie den Hunger, vor allem aber nicht die Lust der Gäste. Die Gäste haben sich in Geduld geübt und in Verständnis. Und sie haben das super gemacht.

 

Und die Organisatoren? Nun ich verneige mich. Ganz ganz grosses Kino! Ich für meinen Teil bräuchte nicht unbedingt World-Food und World-Music aus jeder Ecke der Welt. Es ist aber durchaus eine Philosophie, die ich absolut toll finde, nur gäbe es wahrscheinlich auch lokal einige Perlen die noch etwas bieten könnten. Aber da will ich euch nicht reinreden. WC’s dürften von mir aus auch etwas Ausserhalb der Food-Meile stehen und Flaschen mit stillem Wasser würde ich gerne beim nächsten Mal mit dem Mietpreis mitbezahlen. Als Idee vielleicht: Versucht ein paar Food-Lieferanten zu finden, die am Ende des ersten Abends bei den Ständen vorbeigehen und Bestellungen aufnehmen. Nur etwas will ich wirklich – die Musik – nicht lauter, aber besser auf dem ganzen Gelände verteilt. Das wäre super! Was ihr absolut toll gemacht habt: Ihr wart immer zur Stelle und habt geholfen wo ihr konntet, ihr wart da, als Partner und nicht als Veranstalter und darin, denke ich, liegt das Geheimnis. Ihr habt das Festival für die Standbetreiber und Gäste organisiert – ihr wart Gastgeber und habt dem Ganzen eine Seele gegeben. Und ich und tausende andere waren begeisterte Gäste. Danke!

 

Autor weichgekocht

Bild: Der Autor weichgekocht

 

Dank geht an:

All unsere Gäste
Streetfood Festival Solothurn Team
Restaurant Bar Salzhaus
Metzgerei Karli Derendingen
An meine liebe Mutter und mein Team