Des Fleisches Lust

Da hing sie. Eine Hamme. Meine erste Erinnerung an Fleisch. Zwischen zwei stählernen Dornen gespannt. Mit mehr oder weniger Fleisch am Knochen. Und wenn es nur noch ein einziger rosa Span gewesen wäre, was hätte ich für ihn gegeben! Doch ich hatte nichts, und auch zu kaufen wenig. “Hamme” stand nie auf dem Einkaufszettel meiner Eltern, damals, Ende der fünfziger Jahre, als es in Solothurn noch über 30 Metzgereien gab.

 

Auf dem Zettel hätte “Schweinsnieren” oder auch “Schweinsleber” stehen können. Ein billiges Alltagsgericht. 20 Jahre später – bei mehr als 20 Metzgereien weniger – stand ich mittags oft in der Vorstadt-Metzg, die auch nur noch wenige Jahre existieren sollte. Ihre Cervelats waren legendär. Aber auch ein Schweinsnierli lag damals noch durchaus in der Auslage. Kurz in Butter geschwenkt und erst dann gewürzt, ein herrliches Instant-Zmittag, statt Döner oder Macs Weicheier. Vor allem nach einer fleischarmen Jugend, denn für Carnivoren wie mich war in einem Zwölfpersonen-Haushalt immer zu wenig da – ob Aufschnitt oder Plätzli, von Poulet ganz zu schweigen.

 

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Bild: Metzgerstand Markthalle Barcelona – unerfüllte Wünsche der Schweizer Carnivoren

 

Schweinsnierli ist vorbei. Nicht einmal vom Kalb gibt es sie beim Metzger noch ohne Bestellung. Dort sind die Auslagen monotoner geworden. Filets, Koteletten, hinten in der Ecke verschämt noch einige Mocken Suppenfleisch. Ein Besuch beim inzwischen zweitletzten Stadtmetzger fiel ernüchternd aus: Die zwei präsentierten Stücke Siedfleisch waren völlig fettlos. Dafür teuer. “Den fetten Riemen von früher, den kannst Du vergessen. Die kauft niemand.” Ich schon. “Die werden nur noch verwurstet.” Also esse ich Cervelats.

 

Cervelats. Vor einigen Jahren schob ich eine Krise. Sie wissen schon, wegen der Darmgeschichte.  War ja ganz zuletzt nur ein Medien-Hype. Und so inhaliere ich jeden Samstag beim Märet-Metzger eine Cervelat. Bei jedem Wetter, auch im Winter, wenn die lachsfarbene, gehäutete Köstlichkeit Dir vor Kälte fast die Zähne raushaut. Die Leute sind irritiert. “Ohne Senf, und ohne Brot?” Jawoll! Genau deswegen machen die St. Galler die besten Bratwürste. Damit sie keinen Senf brauchen. Und Brot? Habe ich früher genug gegessen. Cervelats nicht. Einige Kunden sind leicht belustigt, vielleicht auch besorgt. Ach Quatsch, das bilde ich mir nur ein. Vega-Terriers kaufen ja nicht beim Metzger ein. Ich bin umgeben von Sympathisanten.

 

Leider müssen auch Märet-Metzger die Magersucht ihrer Kundschaft mitmachen. Einmal lachte mir das Herz im Leibe, als ich einen von Fett strotzenden Hohrücken entdeckte, mit mehr Weiss- als Rotanteil. Mein Metzger kannte mich noch zu wenig. Das schöne Stück sei leider unverkäuflich. Meinte er. Weil viel zu fett. Da war er aber an den Falschen geraten. Und fast hätte er es sich auf ewig mit mir verscherzt, als mit er dem Messer den Fettanteil reduzieren wollte. Ganz nebenbei: Es war der mit Abstand saftigste, schmackhafteste Hohrücken schweizerischer Herkunft gewesen. Wir sprechen hier nicht von Ribeye – that’s another Story.

 

Bis vor einem halben Jahr hatten wir noch einen zweiten Märet-Metzger. Ruedi brachte jeweils eines seiner Rinder von den Freibergen in die Stadt. Auch er konnte mit seinen gekreuzten Fleischrinderrassen aus Frankreich, Italien und der Schweiz kein fettes Fleisch bieten. Sie wissen schon: “Das kauft niemand”. Ich schon. Und so reifte ein tollkühner Plan heran: Konnte Ruedi vielleicht ein Stück Schlachtvieh heranzüchten, wie es vor gut 100 Jahren noch gang und gäbe gewesen war? So einen ollen Bullen kastrieren und dann gemütlich mästen, bis er mehrere hundert Kilo schwer nach Jahren mitsamt seinem gelblich harten Fettpolster  in der Pfanne landete – in meiner natürlich. Das sei eine Ochsentour, meinte Ruedi. Viel zu aufwendig und teuer. Einer allerdings habe genau dies bei ihm bestellt: der Spitzenkoch Georges Wenger in Le Noirmont. Irgendwann habe ich Ruedi gefragt, ob ich irgendwie an ein Stücklein des Wengerschen Mastochsen kommen könnte? “Den musst Du schon bei Ihm selber essen.” Na ungut. Irgendwie habe ich es verpennt. Aus den Augen verloren. Wie Ruedi auch.

Der Besuch des Metzgers ist der wöchentliche Höhepunkt des Märets. Nicht nur wegen der Cervelat. Der Besuch birgt auch immer Konfliktstoff. Da hast Du beim Gemüsebauern die herrlichsten Bohnen der Welt erstanden, weil gerade Saison ist. Doch der Knallfix von Metzger hat keinen grünen Speck dabei. Bestellen hätte ich ihn sollen. Was? Wo kommen wir da hin? Auf dem Märet einkaufen ist besser als spontaner Sex. Wie will ich eine Woche vorher wissen, dass ich genau sieben Tage später Bock auf diese Superbohnen habe? Und die Bohnen erst nach dem Speck kaufen, bringts auch nicht. Erstens sind Superbohnen immer rasch weg. Und zweitens will ich mich ja ärgern. Über einen Metzger, der mitten in der Bohnen-Saison keinen grünen Speck dabei hat. Der Mann ist nicht einmal clever: Er könnte ja sagen, er hätte schon allen verkauft. Vielleicht ist er aber cleverer, als ich meine: Er weiss wohl, dass ich ihm das nie und nimmer abnehmen würde.

 

Abnehmen sollte ich zuletzt dem Märet-Metzger geräucherten Speck, der keine Streifen mehr hatte. Weil das Fett völlig fehlte. Die monochrome Masse wies einen einzigen andersfarbigen Streifen auf – immerhin kann man den Schweinen noch nicht die Schwarte abgewöhnen. Zur Ehrenrettung meines armen Metzgermeisters muss ich aber noch erwähnen: Beim letzten Bohnenkauf hatte er grünen Speck dabei. Sogar fetten. Was halbwegs über die Bulimie-Syndrome beim geräucherten Pendant hinweghalf.

 

Spannend ist aber auch, was die anderen so einkaufen. Und da staune ich oft über die Hilflosigkeit vermeintlich altgedienter Hausfrauen. “Kochen oder braten?” Hmmm. Metzgerkunden sind nicht einfach. Ein gewisses Verständnis brachte ich aber beim Verkaufsgespräch mit einer afrikanischen Kundin auf. “Is this pig?” “Yes.” “And this, is this also pig?” “No, this is chicken.” Nun deutete die Frau auf ein Adrio-ähnliches Objekt, eingewickelt in wirklich ungewöhnlich fette Specktranchen. “Is this pig?” Der Urinstinkt des Menschen nach Fett. Die Antwort musste sie enttäuschen. “Yes, it’s pig.” Denn das wollte und konnte sie nicht kaufen. Aber gegessen hätte sie es gerne. Sonst wäre nicht ihr Auge auf den Fettkloss gefallen. In mir stieg eine Prise Mitleid auf. Wäre dieser Kauf für sie möglich gewesen, dann hätte sie nämlich – Schwein gehabt…